What’s your Story? ~ Was Geschichten, die wahr sein könnten, bewirken
von Roger Rankel
„Geschichten, die wahr sein könnten, sind spannende Geschichten. Bei Geschichten, die wahr sind, muss das nicht unbedingt der Fall sein“, sagte Udo Jürgens einmal. Kunden lieben spannende Stories. Kein Wunder also, dass viele große Marken von Geschichten leben: Coca Cola von der Story vom Geheimrezept, das im Tresor lagert und nur wenigen zugänglich ist. Apple von der Heldengeschichte, die mit dem Namen Steve Jobs verbunden ist und die jedem Hollywoodfilm Ehre machen würde: Garagengründung, glanzvoller Aufstieg, dramatischer Verlust der eigenen Firma, umso triumphalere Rückkehr. Jeder gute Werbespot erzählt in 30 Sekunden eine komplette Geschichte. Was bedeutet das für erfolgreiches Verkaufen? Vertriebsexperte Roger Rankel zeigt, wie Verkäufer Geschichten einsetzen können.
In der Autowerbung früher ging es um Zahlen, Daten, Fakten, um PS-Stärken, Beschleunigung, Hubraum. Ein Autofahrer der Fünfzigerjahre würde sich verwundert die Augen reiben, sähe er unvermittelt heutige Werbespots. Für die teuersten Werbeminuten auf diesem Planeten, die Pause im Super Bowl-Finale des US-Footballs, bot VW in den letzten Jahren Kinder auf, die im Darth-Vader-Kostüm Waschmaschinen, Puppen und Heimtrainer beschwören, Hunde, die Fitnesstraining machen, oder Ingenieure, denen weiße Engelsflügel aus dem Rücken ploppen, wenn irgendwo auf der Welt ein Volkswagen die magische Tachoanzeige von 100.000 Kilometern erreicht. Dafür zahlt das Unternehmen rund 4 Millionen Dollar für 30 Sekunden Sendezeit.[1] Die eigentliche Werbebotschaft – Deutsche Ingenieure bauen die besten Autos der Welt – nimmt davon höchstens 2 Sekunden in Anspruch. Warum macht VW das? Und was können Verkäufer daraus für Schlüsse ziehen?
Was Geschichten können
Menschen lieben Geschichten. Bei jeder Party und bei jedem gemeinsamen Abendessen hat derjenige die volle Aufmerksamkeit, der eine witzige, verblüffende oder auf andere Weise bemerkenswerte Geschichte zu erzählen hat. „Ihr glaubt nicht, was mir heute passiert ist“, sorgt automatisch dafür, dass alle die Ohren spitzen. Geschichten sichern nicht nur Aufmerksamkeit, eines der knappsten Güter in unserer Welt der permanenten Reizüberflutung, sie haken sich auch im Gedächtnis fest. Dafür sorgt unser episodisches Gedächtnis, das narrative Zusammenhänge speichert, während unser semantisches Gedächtnis, der Speicherplatz für Zahlen, Daten, Fakten, weit löchriger ist. Deshalb haben die meisten von uns die binomischen Formeln oder die Regeln der Mendelschen Vererbungslehre längst vergessen, während wir die Märchen unserer Kindheit auch nach 30 Jahren problemlos nacherzählen können. Das hängt auch damit zusammen, dass gute Geschichten Emotionen wecken: Sympathie, Heiterkeit, Staunen, Mitleid, Sorge. Geschichten können uns zum Lachen und zum Weinen bringen, etwa im Kino. Was Tortendiagramme oder Tabellen nicht schaffen, gelingt im Nu mit einer guten Story: uns emotional zu berühren. Außerdem lösen gute Geschichten das Bedürfnis zum Weiterzuerzählen aus. Vermeintlich oder tatsächlich wahre Begebenheiten entwickeln sich so zu Alltagslegenden. „Die Spinne in der Yucca-Palme“ heißt ein Geschichten-Buch, das sich bis heute über 400.000 Mal verkaufte. Die Titelgeschichte von der Topfpflanze, die beim Gießen jedes Mal quietscht, hat fast jeder mal gehört, und immer ist die Geschichte der unbekannten Bekannten eines Cousins (oder eines Nachbarn, Freundes, Tenniskollegen …) tatsächlich passiert: Unter der Blumenerde hockte danach eine gefährliche Spinne, die quiekte, wenn sie nass wurde, und von Männern in Schutzanzügen eingefangen werden musste. Interessante Geschichten verbreiten sich wie das sprichwörtliche Lauffeuer.
Aufmerksamkeit erregen, sich im Gedächtnis verankern, Emotionen wecken und den Drang zum Weitererzählen schüren – kein Wunder, dass Werber und Markenexperten längst den Wert von Geschichten entdeckt haben. Mit technischen Daten kann man am Automarkt heute nur noch begrenzt Punkte sammeln. VW präsentiert sich in den USA daher als Sympathieträger, der die viel gerühmte deutsche Ingenieurskunst nur noch mit einem Augenzwinkern andeutet. Die Kunden „kaufen“ zuerst die Geschichte, dann das Produkt selbst. Konkurrent Opel baut vermutlich ebenfalls gute Autos und doch lag die Marke lange Zeit am Boden, weil sie keine Geschichte zu erzählen hatte, die das Spießerimage korrigiert hätte. Gerade beginnt sich das zu ändern, weil nun auch Opel auf Storys setzt – etwa die von Jürgen Klopp, der im Flugzeug seinen (Opel-)
Autoschlüssel verliert und damit eine arrogante Stewardess verblüfft. Wie also können Sie als Berater/Verkäufer von der Wirkung guter Storys profitieren? Und was macht überhaupt eine gute Geschichte aus?
Was gute Geschichten auszeichnet
Gute Geschichten sind kurz, bildhaft und prägnant. Sie steuern in wenigen Sätzen oder Stationen auf eine Auflösung oder Pointe zu. „Eine gut erzählte Geschichte macht aus den Ohren Augen“, sagt ein chinesisches Sprichwort. Dabei gibt es Lieblingskonstellationen, etwa die David-gegen-Goliath-Geschichten, in denen ein scheinbar Chancenloser es den Großen mal so richtig zeigt. Auch Gründungsmythen, etwa die der Garagenfirma, die zum Weltkonzern wird, sind beliebt, siehe Microsoft, siehe Apple. Märchenhafte Aufstiege fesseln eben, getreu dem Mythos „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Wäre Bionade nicht durch einen kleinen Braumeister in der Provinz erfunden worden (angeblich im Minilabor im heimischen Schlafzimmer), sondern in der Entwicklungsabteilung eines multinationalen Getränkekonzerns entstanden, wäre der Hype um die Marke wohl leiser ausgefallen. Auch skurrile, verrückte oder auf andere Weise aus dem Rahmen fallende Geschichten machen aufmerksam, etwa wenn H.P. Baxxter, Frontmann der Dance-Gruppe Scooter, für Edeka einen Supermarkt rockt. Ungewöhnliches tun, Regeln brechen und damit erfolgreich sein, nicht aufgeben, verblüffen, all das zündet. Dabei muss eine Geschichte noch nicht einmal ein fulminantes Ende haben, um zu fesseln. Die Commerzbank schickt einfach eine Joggerin durch den grauen Frankfurter Morgen, die anschließend im Bankerinnen-Outfit ihren Arbeitsplatz ansteuert, und bringt sich so dauerhaft ins Gespräch. Und die Volksbank sendete Sekundenporträts von Kunden zu der Fragestellung „Was uns antreibt“, um ihre Botschaft „Wir machen den Weg frei“ zu platzieren.
Geschichten im Verkauf
Die Kernempfehlung an Verkäufer lautet: Geben Sie Ihren Kunden mit einer guten Story etwas zum Weitererzählen. Virtuos umgesetzt wird dies beispielsweise durch einen Sicherheitsberater, der sich gar nicht lange mit Ausführungen zu den Sicherheitsmängeln von Altbautüren aufhält, sondern von seinem Kunden den Wohnungsschlüssel erbittet und mit ihm in den Hausflur tritt. Anschließend wirft er den Schlüssel zurück in die Wohnung und zieht die Tür von außen zu. Die meisten Kunden bekommen Schnappatmung. Doch der Sicherheitsexperte grinst nur und hat die Tür binnen Sekunden wieder geknackt. Er hat mit dieser Demonstration nicht nur den aktuellen Kunden überzeugt. Er sorgt gleichzeitig zuverlässig für Empfehlungen.
In diesem Beispiel wird die Geschichte inszeniert, der Kunde durchlebt sie selbst. Das ist sozusagen die Königsklasse im Storytelling. Mit etwas Phantasie schaffen Sie selbst auch so eine Geschichte, auch wenn Sie keine Türen knacken können. Mir fällt zum Beispiel der Finanzberater ein, der mit Maßband und Schere in das Thema Altersvorsorge einsteigt. Er fragt seinen Kunden, wie alt er werden möchte. Dann kappt er das Band bei dieser Altersschätzung, beispielsweise bei 90. Anschließend fragt er, wie alt der Kunde ist, und kappt das Maßband auch am anderen Ende, zum Beispiel bei 45. Zum Schluss erkundigt er sich, wann sein Gegenüber in Rente gehen will, und schneidet das Reststück an dieser Stelle in zwei Teile, etwa bei 60. Dann sagt er: „Das bedeutet, Sie haben noch so viel Zeit (hält ein 15 cm langes Stück hoch), um für so viel Rentenzeit zusätzlich vorzusorgen (hält ein 30 cm langes Stück hoch).“
Ein anderes Beispiel: Als Finanzberater hatte ich seinerzeit viele Kunden, die beim Flughafen München oder bei der Lufthansa arbeiteten. Also ließ ich einen Besprechungsraum mit ausrangierten Lufthansasitzen möblieren und bat meine Kunden augenzwinkernd, Platz zu nehmen und sich anzuschnallen, für den Fall, dass sich im Gespräch finanzielle Turbulenzen einstellten. Bald war ich bei meinen Kunden bekannt als „der mit den Flugzeugsitzen“.
Natürlich muss die Geschichte, die Sie inszenieren, zu Ihnen passen – Sie müssen sich wohl damit fühlen. Und natürlich ersetzt die Geschichte weder Fachkompetenz noch solide Beratung. Sie leistet jedoch etwas Wesentliches: Sie macht sie unverwechselbar unter einem Heer von Anbietern. Das gelingt zum Beispiel auch einem Malermeister, der eine „hundertprozentige Sauberkeitsgarantie“ abgibt: Findet der Kunde nach getaner Arbeit irgendwo auch nur den kleinsten Farbspritzer, muss er die Rechnung nicht bezahlen. Dafür inspiziert der Meister zunächst allein und dann gemeinsam mit seinem Auftraggeber penibel den fertigen Raum. Auch er gewinnt durch Mundpropaganda laufend neue Kunden.
Also: Welche Story bieten Sie?
Der Autor Roger Rankel ist mehrfach ausgezeichneter Vertriebsexperte, der sowohl für DAX-Unternehmen als auch für Mittelständler und Kleinunternehmen die Themen Kundenakquise und nachhaltige Umsatzsteigerung coacht. Rankels neuestes Buch heißt “Etwas etwas anders machen”, Gabal Verlag.
© Roger Rankel 2015
Abdruck honorarfrei gegen Beleg an
Roger Rankel – Der Vertriebsexperte – Seewiesstraße 1 – 82340 Feldafing am Starnberger See.
[1] Quelle: www.tagesschau.de/sport/superbowl152.html
Der Autor Roger Rankel ist mehrfach ausgezeichneter Vertriebsexperte, der sowohl für DAX-Unternehmen als auch für Mittelständler und Kleinunternehmen die Themen Kundenakquise und nachhaltige Umsatzsteigerung coacht. Rankels neuestes Buch heißt “Etwas etwas anders machen”, Gabal Verlag.
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